Die wunderbare kreative Kraft des Lebens

Erich Ohser alias E. O. Plauen zeichnete von 1934 bis 1937 die Comicserie Vater und Sohn.

Das Leben legt kreative Spuren für uns aus. Kleine Zufälle und Offenbarungen, die uns weiterbringen und uns helfen, sicher durch das Labyrinth der Existenz zu navigieren. Kühle Köpfe würden sie als bloße Zufälligkeiten beschreiben. Doch sie sind viel mehr als das. Glückliche Fügungen sind Teil eines gigantischen schöpferischen Systems, in dem alles miteinander verbunden ist. Und wenn Menschen offen dafür sind, können sie sich mit diesem System verbinden und lebensspendende Inspiration für Neues schöpfen.

Neulich erlebte ich wieder ein Beispiel für eine solche kreative Spur. Ich hatte Erich Kästners Buch Fabian bei einem Antiquariat in Deutschland bestellt, und es kam in einem weißen Umschlag, beklebt mit verschiedenen Briefmarken. Der Buchhändler hatte offenbar seine ganze Briefmarkensammlung geplündert, um das Porto zusammenzubekommen. Eine dieser Marken zeigt eine Zeichnung eines Vaters, der seinem Sohn hinterherläuft – einem Jungen, der offensichtlich Unfug getrieben hat.

Diese Zeichnung stammt von Erich Ohser, der ein enger Freund von Erich Kästner war – jenem Autor, dessen Buch sich in dem Umschlag befand. Welch geniale Fügung des Schicksals, ausgerechnet diese Briefmarke zu wählen! Dankbar nahm ich sie an und begann, mich mit Erich Ohser zu beschäftigen.

Er wurde 1903 in Leipzig geboren, genau wie Kästner, und illustrierte dessen erste Gedichtbände – darunter ein erotisches Gedicht, das beide ihren Job bei der Neuen Leipziger Zeitung kostete. Ohser war ausgebildeter Künstler, arbeitete jedoch als Karikaturist für die sozialdemokratische Zeitung Vorwärts. Er zeichnete einige brillante Karikaturen von Hitler, was ihn arbeitslos machte, als die Nazis 1933 an die Macht kamen.

Ein Jahr später suchte die Berliner Illustrirte Zeitung einen Künstler, der eine deutsche Comicserie als Pendant zu Mickey Mouse entwickeln sollte. Erich Ohser bewarb sich mit einem wortlosen Comicstrip mit dem Titel Vater und Sohn. Das Problem: Er hatte ein Publikationsverbot. Doch der Verlag erhielt die Genehmigung, seinen Namen zu verschleiern – und so wurde E. O. Plauen geboren! Die Serie wurde angenommen, und von 1934 an veröffentlichte er in den folgenden drei Jahren 196 kurze Geschichten über einen dicken Vater und seinen Sohn, die gemeinsam auf unkonventionelle Weise die Herausforderungen des Lebens meisterten. Die beliebte Serie erreichte ein Millionenpublikum.

Erich Ohser war nicht besonders politisch aktiv und tat weitgehend, was das Regime verlangte – und es fällt mir schwer, dieses zu schreiben. Doch im März 1944 nahm das Schicksal eine tragische Wendung. Ohser wurde von seinem Nachbarn denunziert, verhaftet und zusammen mit seinem Freund Erich Knauf vor den Volksgerichtshof gebracht. Einen Tag vor seiner Verhandlung erhängte sich Erich Ohser in seiner Zelle. Sein Freund wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Dank einer einzigen Briefmarke in der oberen rechten Ecke eines Umschlags ist Erich Ohser nicht in Vergessenheit geraten. Zum Glück – denn er hat immer noch viel zu sagen über das Verhältnis zwischen Vater und Sohn. Und er tut es weitaus besser als moderne intellektuelle Debattierer, die sich mit Fragen wie „Welche neue Rolle hat der Mann in der modernen Gesellschaft?“ befassen – pfui! Ohser, oder besser gesagt O. E. Plauen, erzählt stattdessen auf Augenhöhe mit den Kindern davon, wie schön es ist, mit seinen Kindern zu leben.

Erich Ohser heiratete 1930 Marigard Bantzer, und sie bekamen ihren Sohn Christian, der bis 2001 lebte


Previous
Previous

Das Recht als Garnichts respektiert zu werden

Next
Next

Mein Treffen mit Erich Kästner